Skip to navigation (Press Enter) Skip to main content (Press Enter)

Der kühle Kopf in der Kälte

Die sympathische Curlingspielerin Selina Witschonke aus Luzern ist mit ihren jungen 21 Jahren ein alter Hase auf dem Eis: Sie darf sich mit drei Junioren-Schweizer-Meister-Titeln schmücken und auf fünf Teilnahmen an einer Junioren-WM zurückblicken. Nun spielt sie mit dem Team St. Moritz in der Elite. Vieles ist anders, die Liebe zum Eis aber bleibt.

26. November 2020Text  Monika Mingot Fotos  Petra Wolfensberger Video  Selina Meier

Selina, was war der schwierigste Stein, den du jemals gespielt hast?

Es gab sicher viele, aber den letzten Stein an der Weltmeisterschaft 2019 vergesse ich nie: Kommt er, haben wir eine gute Chance auf die Bronzemedaille, kommt er nicht, sind wir auf dem undankbaren vierten Platz. Nach einer Woche Druck vor grossem Publikum den einen Stein zu spielen, im Wissen darum, dass es um die Medaille geht – das hat mich echt nervös gemacht. Aber: Ich habe ihn gebracht (lacht).

Worauf bist du besonders stolz?

Auf unseren Erfolg in der Schweiz. Wir wurden schon sehr jung erfolgreich. Der Druck, es auch zu bleiben, hat uns die letzten drei Jahre begleitet. Umso mehr bin ich auch auf meine Weiterentwicklung als Person stolz. Ich habe gelernt, mit dem Druck und mit der Nervosität umzugehen.

Curling ist in der Tat nichts für schwache Nerven. Würdest du dich als sehr belastbar bezeichnen?

Jetzt schon, aber es war und ist wie gesagt ein Lernprozess. Die Jahre auf dem Eis haben mich geformt. Als emotionale Spielerin habe ich mit Mentaltraining Unterstützung von aussen benötigt. Es bringt mir sehr viel, auch für meine Rolle als Skip, in die ich zuerst hineinwachsen musste. Acht Jahre lang war ich die «Kapitänin» vom Team. Da muss man einen gewissen Druck aushalten können, weil man oft wichtige Entscheidungen treffen und die letzten Steine spielen muss. Diese Erfahrung bringt mich aber auf jeden Fall auch neben dem Curling weiter.

Wie bist du zum Curling gekommen?

Durch meine Familie. Ich bin im Engadin geboren. Meine Eltern haben Openair-Curling gespielt. Als wir nach Luzern zogen, fing auch mein Bruder an, Curling zu spielen. Bald war klar, dass ich ebenfalls aufs Eis gehöre. Ich war gerade mal sieben Jahre alt. 
 


Was macht diesen Sport in deinen Augen so interessant?

Curling ist ein vielseitiger Sport. Es ist eine Mischung aus körperlicher Anstrengung und Taktik. Ein falscher Spielzug kann den Match entscheiden. Dieser Mix aus Kopf und Körper fasziniert mich.

Geschieht es oft, dass du dich im Nachhinein über einen Entscheid ärgerst?

Früher mehr als heute. Aber wir sind ein Team und sprechen uns während eines Spiels ab. Von daher sind bei Fehlern immer alle mitverantwortlich. Fehler werden immer wieder passieren, was auch gut ist. Das Team kann aus den Fehlern lernen und sich entsprechend weiterentwickeln.

Nächsten September fängst du ein Studium in Sportmanagement an der Fachhochschule Graubünden in Chur an. Wie schafft man es, Spitzensport und Studium unter einen Hut zu bringen?

Es ist nicht einfach. Vor zwei Jahren habe ich ein Forensikstudium in Lausanne angefangen, welches ich aber nach einem Jahr abbrechen musste. Die Voraussetzungen waren schwierig: Zum anspruchsvollen Studium in einer Fremdsprache kam zudem der lange Zeitaufwand mit Pendeln dazu. Das Ganze nebst dem Einsatz für den Spitzensport, der für mich immer Priorität hatte. Ich hatte mir zu viel zugemutet und glücklicherweise frühzeitig die Reissleine gezogen.

Und nun versuchst du es nochmals?

Sportmanagement ist ein relativ neues Studium, das sich gut mit Spitzensport vereinbaren lässt. Ich werde zwei Tage in der Woche in Chur studieren, der Rest findet online statt. Ich bin zuversichtlich, dass dies nebst den 15 Stunden Training pro Woche und den vielen Reisen ins Ausland klappen wird.

Die Winteruniversiade in Luzern nächstes Jahr findet leider nicht statt. Sie hätte auch auf die Vereinbarkeit von Spitzensport und Studium aufmerksam gemacht. Bist du enttäuscht?

Ja, das ist sehr schade. Wir waren vorselektioniert und hätten mit grosser Wahrscheinlichkeit teilnehmen können. Es wäre unser Saisonhöhepunkt gewesen. Curling lebt von internationalen Turnieren, wir spielen also oft im Ausland. Auf viele Turniere müssen wir diesen Winter verzichten, weil wir entweder nicht in das jeweilige Land einreisen dürfen oder die Turniere abgesagt werden.

Der Teamzusammenhalt ist zentral beim Curling. Besprichst du Konflikte mit dem Team jeweils auf dem Eis oder erst nach dem Spiel?

Konflikte sprechen wir offen an und nehmen uns nach jedem Spiel Zeit für eine Analyse. Wir verbringen viel Zeit zusammen, da muss man über schwierige Situationen reden können. Umso mehr, als Curling ein Nervensport ist und nicht alle mit Emotionen gleich umgehen. Auch hier hilft uns das Mentalcoaching.


Dieses Jahr musstest du dich von deiner langjährigen Wegbegleiterin Anna Gut trennen. Wie schwierig war das?

Die Trennung von Anna war nicht einfach. Wir haben zwölf Jahre zusammengespielt, wohnen drei Minuten voneinander entfernt und haben zusammen die Schulbank gedrückt. Aber der Entscheid war verständlich: Sie möchte sich auf ihr Studium konzentrieren, während wir anderen die Spitzensport Rekrutenschule absolvieren. Wir haben uns im Guten getrennt, der Entscheid stimmt für uns beide.

War es schwierig, einen Ersatz zu finden, der ins Team passt?

Wenn ein Team wie wir aus nur vier Spielerinnen besteht, ist es wichtig, dass man sich gut versteht. Es muss menschlich wie spielerisch stimmen. Wir haben eine engagierte Spielerin gesucht und in Raphaela Keiser gefunden. Interessanterweise waren wir zuvor jahrelang Gegnerinnen.

In der Elite weht ein anderer Wind. Wie macht sich das bemerkbar?

Die Herausforderungen sind anspruchsvoller – sportlich und finanziell. Das Niveau ist ganz klar höher. Fehler werden sofort bestraft. Nach der Juniorenzeit und einer langjährigen und sehr grosszügigen Unterstützung durch die Vereinigung Luzerner Curling Clubs mussten wir für den Start in der Elite einen neuen Club suchen, den wir zum Glück mit St. Moritz gefunden haben.

In der Curlinghalle ist es meist nur ein paar Grad warm. Wie bringst du deinen Körper dazu, bei Kälte Höchstleistungen zu erbringen?

Grundsätzlich liegt mir Kälte mehr als Wärme, aber bis zu einem gewissen Punkt gewöhnt man sich auch an die kühlen Temperaturen in der Halle. Wenn man wischt, hat man dank der Bewegung trotz der sechs Grad warm genug. Oft spielen wir sogar im T-Shirt. Einzig die Hände leiden manchmal.

Wie trainiert ihr im Sommer?

In der Schweiz hat es wenige Hallen, die auch im Sommer Eis haben. Ansonsten trainieren wir Ausdauer und Kraft. Aber auch die Regeneration ist im Sommer ein wichtiges Thema.

Was ist dein nächstes Ziel – im Sport und privat?

Privat nebst dem Sport mein Studium erfolgreich abzuschliessen. Insbesondere im Sport hoffe ich, dass wir in der Elite Fuss fassen können. Auf diesem Niveau den Schweizer-Meister-Titel zu holen und in weiter Zukunft, Erfolge an Grossanlässen wie Europa- und Weltmeisterschaften und auch an den olympischen Spielen feiern zu dürfen.


Zur Person

  • Name: Selina Witschonke
  • Geburtstag: 17.12.1998
  • Wohnort: Sempach
  • Trainingsort: Biel, Baden, Luzern
  • Team: St. Moritz
  • Grösste Erfolge: 1. Rang Junioren-Schweizer-Meisterschaft Liga A 2016, 2017 und 2019, 3. Rang Junioren-Weltmeisterschaft 2019, 3. Rang Junioren-Olympiade 2016
     

Kommentare (1)

10.12.2020 | Yves Stocker

Toller Beitrag, bravo Selina!

Neuen Kommentar schreiben