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Grenzgängerin mit Energie

Ihr ist gelungen, was nur wenige Menschen vor ihr geschafft haben: Evelyne Binsack hat die «drei geografischen Pole» gemeistert. Die Abenteuer-Trilogie hat sie vom höchsten über den südlichsten bis zum nördlichsten Punkt der Welt geführt: auf den Mount Everest und an den Süd- und den Nordpol. Wer mit purer Muskelkraft in Extremsituationen die höchsten Berge besteigt, die kältesten Regionen durchwandert und die eigenen Grenzen immer wieder überwindet, weiss, wie man mit Energie haushaltet. Ein Gespräch mit der Powerfrau.

28. November 2018Text  Monika Mingot Fotos  Evelyne Binsack

Frau Binsack, Sie sind eine der erfolgreichsten Abenteurerinnen. Als erste Schweizerin haben Sie den Mount Everest im Alleingang bestiegen, mit purer Muskelkraft sind Sie von zu Hause aus an den Süd- und den Nordpol gelangt. Sie selbst bezeichnen sich als Grenzgängerin. Welches Erlebnis hat Sie am meisten geprägt? Alle diese Grenzgänge prägen. Sie prägen einen ein Leben lang. Biss und Entschlossenheit, Durchhaltewillen, einen trainierten Körper, der diese Strapazen mitmacht, und ein gutes Gespür für sich selbst und die Gefahren, die lauern, kann man nicht aus Büchern lernen. Wenn ich alleine in der Eigerwand hochklettere, wenn ich in Polarregionen bei minus 40 Grad Celsius unterwegs bin, wenn ich über 8’000 Meter alleine hochsteige, dann nützt mir nur die Erfahrung, die ich in diesen Bereichen bereits gemacht habe – und das Können.

In der eisigen Antarktis sind Sie 1’200 Kilometer bis zum Südpol gelaufen. Wie tankt man in einer solchen Extremsituation Energie? Energie «tanken» kann man auf einem so langen Marsch in der Antarktis nicht. Die 1’200 Kilometer waren ja Luftdistanz, die tatsächlich gegangene Distanz liegt bei etwa 1’600 Kilometern. Täglich zwischen minus 20 bis minus 40 Grad Celsius unterwegs zu sein, ohne Unterstützung von aussen, da tankt man keine Energie. Die körperliche und die mentale Energie müssen beim Start bereits vorhanden sein. Sonst geht man regelrecht «drauf».

Haben Sie auch ans Aufgeben gedacht? Ich habe noch nie aufgegeben. Ich habe aber schon lebensverlängernde Massnahmen getroffen und mich gegen ein Weitergehen entschieden, weil das Risiko zu hoch war. Das sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe, die nichts miteinander zu tun haben.

In einem Interview sagten Sie: «Der Charakter eines Menschen kommt am Berg schnell ungeschminkt zum Vorschein, sobald es brenzlig wird.» Wie beschreiben Sie Ihren Charakter? Ich bin sehr belastbar und kann mit Druck sehr gut umgehen. Da, wo andere bereits aufgeben, sehe ich Möglichkeiten, improvisiere, wechsle die Taktik. Ich bin aber nicht sehr geduldig, was die Langsamkeit anbelangt, und mein Geist braucht viel Ruhe, weswegen ich keinen Fernseher und kein Radio besitze.


Was bewegt Sie, die eigenen Grenzen immer wieder herauszufordern? Ich fordere die Grenzen nicht heraus. Das wäre sehr dumm. Ich setze mir Ziele, für deren Umsetzung ich mit Training und mentaler Vorbereitung die Grundlage für ein Gelingen schaffe. Die eigenen Grenzen zu dehnen, das passiert automatisch, wenn es die Grenzsituation verlangt. Von Jean Cocteau gibt es den treffenden Spruch: «Man muss wissen, wie weit man zu weit gehen kann.»

Hätten Sie den Extremsport nicht gehabt, in welchem anderen Bereich hätten Sie Ihre mentale Stärke und Ihre Ausdauer gern eingesetzt, um Höchstleistungen zu erbringen? Ich lebe nicht im Konjunktiv. Ich weiss es nicht.

Wasser ist für Ihre Expeditionen ein Lebenselixier. Wie sorgen Sie dafür, dass Sie auch in abgelegenen und wasserarmen Gebieten ausreichend Wasser zum Trinken und zum Kochen zur Verfügung haben? Als ich auf dem Weg von der Schweiz bis zum Südpol mit Fahrrad, zu Fuss, mit Ski und Schlitten unterwegs war, durchquerte ich in Chile die Atacama-Wüste. Bis zu 20 Liter Wasser hatte ich dafür als Vorrat aufs Velo gepackt, nebst den 35 Kilogramm Gepäck. Im Himalaja oder in Polarregionen schmelze ich Schnee und Eis zu Wasser auf dem Gas- oder dem Benzinkocher.


Auf Ihren Expeditionen «wohnen» Sie auf kleinstem Raum, zum Teil in Felswänden. Was brauchen Sie, damit Sie sich im Zelt «zu Hause» fühlen? Und was bedeutet Ihnen Wohnen allgemein? Wenn man im Zelt auf kleinstem Raum lebt, ist es wichtig, dass man die Sachen gut organisiert verstaut. Sonst ist man immer alles am Suchen.

Wohnen bedeutet für mich Rückzug, Heimat, Schutz. Was raubt Ihnen den Schlaf? Momentan ist es das Glockengebimmel der Kühe auf der Weide des Bauern, die nachts knapp bis unter mein Schlafzimmer weiden kommen.

Konnten Sie überhaupt schlafen bei den extremen Minustemperaturen in der Antarktis? Ja, klar. Die Schwierigkeit ist, bei Körpertemperatur im Innenraum des Schlafsacks und zwischen minus 20 und minus 40 Grad Umgebungsluft das Schlafsystem trocken zu halten. Es gibt hier einige Tricks, die man fürs Überleben beherzigen muss.


Auf Expeditionen sind Sie tagelang ohne Strom. Was würden Sie zu Hause im Alltag am meisten vermissen, wenn Sie auf Strom verzichten müssten? Sind wir ehrlich: Ohne Strom geht in Kürze gar nichts mehr. Nicht einmal die Spülung der Toilette. Alltag ohne Strom geht nicht.

Sportlich motivierte Expeditionen werden Sie keine mehr unternehmen. Welche Ziele haben Sie sich für die kommenden fünf Jahre gesteckt? Sportlich motiviert bedeutet, dass ein Ziel über Leistung definiert ist. Ich werde aber nach wie vor leistungsstarke Ziele unternehmen, doch der Sinn hinter dem Ziel ist nicht mehr die Leistung.


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